Juan de Fuca Trail 2

Veröffentlicht auf von Nadja + Reinhard

30. Mai -Reinhard-

Es war Wochenende und der abgelegene Campingplatz wurde über Nacht zu einem beliebten Ausflugsziel für die gesamte Region. Schnell weg hier, denn die ansässigen Raben wurden auch immer dreister. Zu sechst lauerten sie auf alles, was einen Augenblick unbeobachtet herumstand. Kluge, lästige Biester.

Wir hatten alles für den Tag zusammengepackt, vor uns lag ein ausgedehnter Wandertag. Abends wollten wir ans andere Ende vom Trail fahren und in China Beach unser Zelt aufstellen. Nach sechzehn Kilometerchen bogen wir rechts ab und Nadja wühlte das Auto weitere zwei Kilometer durch den Schotter hinunter zum Parkplatz vom Sombrio Beach. Tolles Wetter und richtig Lust auf einen tollen Hike, so wanderten wir hinunter zum Strand. Dort nahmen wir das linke Tor, sozusagen zurück nach Port Renfrew. Als Erstes mussten wir über eine gut gesicherte Hängebrücke, ein toller Anfang war gemacht. Die Flut hatte sich so weit draußen verkrochen wie es nur ging. An einem breiten Strand voller Riesenkiesel sprangen wir für zwei Kilometers über die runden Felsen, die meisten davon so groß wie ein Fußball.

So schnell kamen wir natürlich nicht über den Strand, denn es gab jede Menge Wasserlöcher, in denen das Leben erst auf den zweiten Blick unglaublich reichhaltig wurde. Geht man auf so einen Pool zu, dann ist es meist nicht mehr als eine flache Senke im Stein voller Wasser. Blieb man jedoch einen Augenblick ruhig davor stehen, lösten sich vom sandfarbenen Boden gestreifte Fische, kleine Krabben wuselten umher, Schnecken und  Einsiedelkrebse machten sich auf den Weg und immer so weiter. Wahre Wimmelbilder. Wir waren wieder voller Begeisterung bei der Sache und cool war auch, daß Millionen von seitlich herumstreunenden Krebsen bei jedem Schritt über die Steine klickernd und klackernd unter den Felsen Schutz suchten. Buh!

Am Ende des Strandes befand sich ein kleiner Wasserfall, dort stiegen wir in den Wald ein. Jetzt waren wir auf dem Trail, aber so richtig. Da war nicht mehr viel mit Holzbrücken und Wanderstegen. Über die tiefsten Einschnitte gab es noch teilweise etwas wackelige Brücken, aber sonst ging es steil hinauf über natürliche Riesenstufen, geformt aus Wurzelwerk. Dann wieder hart herunter, in ein ausgebreitetes Matschfeld. Ein sich wiederholendes Schauspiel für weitere zwei Kilometer. Wo es ganz schlimm wurde, lagen Stämme oder große Baumteile im Matsch drappiert, so daß man darüber hinwegbalancieren konnte. Die Seeseite hatte sich mittlerweile mit dichtem Nebel bezogen, der seine Finger in den dunklen Wald streckte. Immer wenn weit unter uns ein Stück Küste auftauchte, bot sich ein gespenstiger Anblick. Die Botten wurden langsam schmutzig und sahen aus wie ehrlich geschundene Stiefel. Rauf und runter stapften wir bis zu einer Stelle, an der die Strecke unklar wurde. Ein Weg zum Strand war mit einer roten Boje markiert, sicheres Zeichen für einen Ausgang. Der Trail ging eng aber erkennbar auch geradeaus weiter. Wir gingen zum Strand hinaus, so wollten wir zum nächsten Einstieg, außerdem setzten wir uns für einen Augenblick mit Müsliriegel in die Sonne.

Weiter ging es über den nächsten Steinhaufen, da kam uns ein jüngeres Päärchen entgegen. Es stellte sich heraus, daß die beiden schon seit einer Dreiviertelstunde nach einem weiteren Aufgang suchten und natürlich waren es Deutsche. Er stellte sich als trailerfahrener Weltenbummler dar, seine Franzi war zum Work and Travel im Land und sie hatten so leichtes Gepäck wie wir dabei. Heute wollten die beiden eigentlich noch bis zum ca fünfzehn Kilometer entfernt liegenden Botanical Beach laufen. Keine gute Idee sagten wir, denn einige Passagen des Weges waren nur bei Ebbe zu durchqueren. So sieht hier also die Ebbe aus, unsere Landsleute gingen davon aus, es wäre die Flut. Wir waren deshalb noch vor Mittag losgewandert, hatten ein Ziel auf einem Drittel der Gesamtetappe und wollten bequem unseren Weg zum Auto zurück machen. Papperlapapp, der junge Mann war so was von erfahren, normalerweise macht er dreißig Kilometer am Tag und Anfang des Jahres war er in Tasmanien zum wildwandern. Da waren zwar mehr Leute unterwegs, aber dafür steckte man so richtig tief im Schlamm!

Sie waren also vor uns gestartet, hatten eine knappe Stunde am Strand verloren und gingen nun mit uns gemeinsam in den Wald zurück, um dem Pfad Richtung Port Renfrew zu folgen. Ich selber halte mich jetzt nicht für einen erfahrenen Wandersmann, der sein Tagesziel immer erreicht hat. Schon gar nicht mit einer Kamera in schöner Umgebung. Und Nadja ist auch keine Marscheinheit, die immer nur nach vorne prescht. Wir gehen unseren Weg, aber wir übertreiben dabei nicht. Bei diesem Trail ist es nun mal so, daß ich aus einiger Erfahrung schöpfen kann und ich teilte dem Typen gerne mit, worum es hier ging. Zwei Mal war ich schon vom anderen Ende hineingelaufen, letztes Mal mit vollem Gepäck. Unsere Tagesetappe damals war längst nicht so weit wie von diesem Punkt aus betrachtet. Wenn man von hier aus das Ende erreicht hat, geht es zum Abschluss noch den Anstieg zum Parkplatz hinauf und von dort weitere drei Kilometer in den Ort hinunter. Von da aus kann man im Dunkeln gerne versuchen, zurück zu trampen, um mit ganz viel Glück oben am Highway herausgelassen zu werden. Danach folgt man im Finsteren ganz einfach dem Waldweg zum Auto und hofft, daß es keine bösen Tiere im Forst gibt. Als ich das letzte Mal mit meinem Bruder an einem Märztag loslief, da hatten wir uns im Regen einen ganzen Tag abgekämpft, um nach einer durchfrorenen Nacht voll brummiger Geräusche im Wald den Rückweg anzutreten. Da hatte uns die Flut erwischt und wir waren aufs Übelste oberhalb durch das dichte Buschwerk geackert. Viel Spass wünschten wir dem erfahrenen Kenner nebst seiner armen Freundin, vor allen Dingen ist Botanical Bay bei Hochwasser im Dunkeln ein echter Bringer.

Als wir so im Viererpack durch den Wald kletterten, da viel der Franzi auf, das die Beiden diesen Teil des Weges schon einmal in entgegengestzte Richtung gelaufen sind. Waren sie doch an einer Stelle auf ein Seil gestoßen, an dem es in die Tiefe ging. Liefen wir jetzt alle in die verkehrte Richtung? Ich muss doch mal um Ruhe bitten! Links das Meer, rechts der Wald, so schwer ist das hier auch ohne Karte nicht zu begreifen. Wir hatten übrigens eine, die war allerdings ohne Entfernungsangabe und sehr ungenau. Wie auch immer, wir kamen an eine weitere Hängebrücke, unser Tagesziel. Über eine tiefe Schlucht zog sich die stabile Drahtseilkonstruktion, darunter ein wilder Creek, der auf der Waldseite auch noch als Wasserfall herunterstürzte. Sehr beeindruckend, hier möchten wir etwas verweilen. Das andere Paar indess zieht schnell eine Kamera aus dem Rucksack zwecks Schnappschuss. Dann eilten sie davon, es galt ja das große Ziel zu erreichen.

Wir blödelten eine Weile auf der Hängekonstruktion herum und dann sah Nadja im Nebel drei Seelöwen an den Küstenfelsen. Genaues Hinsehen lohnt sich also doch immer wieder. Jetzt wollte der Reinhard hinunter zum Strand, denn die Löwen lagen vor der Küste mitten im Panorama herum. Etwas den Trail zurück gab es einen Abzweig nach unten und dort fand sich auch das Seil, an dem die anderen abgestiegen sein mussten. Sie waren also fast bis zur Brücke gewandert und kamen am Strand wegen dem Creek nicht weiter. Rechts die Hängebrücke und links die Löwen hatten dabei wohl keine bemerkenswerten Anhaltspunkte liefern können. So sind sie uns weiter vorne wieder in die Arme gelaufen.

Während Reinhard seine Aufmerksamkeit also gerade sinnend einem Gebüsch zuwendete, rutschte Nadja weiter oben am Trail unglücklich von einer Baumkante und landete schief auf dem rechten Bein. Der Schrei ging Reinhard direkt durch die Ohren hinter die Augen, das Rückenmark hinunter und in den Bauch. Auf der Erde saß Nadja und ihr Knie sah definitiv nicht so aus wie kurz zuvor. Das Schienbein ging nun mehr oder weniger seitlich vom Knie auf die Erde. Geschockt sahen wir uns beide in die Augen, hier brauchte es nicht viele Worte. Dieses Bein musste jetzt sofort gerichtet werden, geheult wird später. Ein gut dosierter Ruck, wir öffneten die Augen und hatten den Unterschenkel schon mal wieder in Position. Reinhard konnte sein rechtes Knie beugen, Nadja zum Glück auch wieder. Ein Stützverband wurde angelegt. Aber jetzt wussten wir noch nicht, wie es den Bändern ging und vorsichtig brachte sich Nadja lotrecht zum Berg. Fünfzehn Uhr, vier Kilometer vom Parkplatz, zwischen Regenwald und Pazifik konnte man den Schmerz laufen sehen. Nadja scheint also unheimlich flexibel aber nichts scheint gerissen zu sein. Zu Scherzen waren wir allerdings gerade nicht aufgelegt, ein Wanderstab musste her. Und dann begann der laange Weg zurück. Sehr vorsichtig hangelten wir uns von einer Wurzel zur Nächsten. Reinhard fungierte als Rucksackgarderobe und als Treppengeländer. Tapfer schob und humpelte Nadja von einer Hürde zur nächsten. Mehr als einmal fragten wir uns, ob das vorhin schon so steil oder so matschig gewesen ist. Keine noch so kleine Stufe wurde nun ausgelassen, ein Balanceakt mit voller Konzentration. Jeder Fehltritt könnte dem Bein den Rest geben, dann hätten wir Feierabend für heute. Nach einem Kilometer pausierten wir, das Mittagessen hatten wir fast vergessen. Nach der Ruhepause war das Knie fast steif und musste unter vielen Flüchen wieder etwas gangbar gemacht werden. Der Strand wurde kurz nach vier erreicht, noch zwei Stunden bis zum Hochwasser. Der Druck aufs Gemüt stieg, extrem vorsichtig mussten wir nun so schnell wie möglich von Stein zu Stein hopsen. Als die ersten Wellen bereits an gestürzten Bäumen leckten, erreichten wir sicheren Grund, dann den Aufstieg und endlich den Parkplatz. Jetzt waren unsere Schuhe ernsthaft eingeweiht, chön schmotzig.

Wir fuhren halb sechs los nach Victoria, welches 75 K's die Karte runter war. In Sooke hielten wir an einer Tankstelle, Eis für Nadja's Knie, dem braven Reinhard ein Eis, dazu zwei Becher Kaffee. Der ADAC hier hatte leider schon Wochenende, dann mussten wir uns eben selber anleiten. Bei Victoria steuerten wir direkt das General Hospital an und wurden betont freundlich in der Notaufnahme empfangen. Kein Wunder, bei diesem Hotel waren sogar die Preise in der Lobby schon deftig gewürzt. Bevor ein Arzt auch nur einen entfernten Blick in Nadjas Richtung warf, waren 700 Bucks fällig. Nein Name ist Visa, ich kaufe hier alles auf. Noch ehe ich den Wagen aus der Drop-off-Zone weggeparkt hatte, war die Nadja verschwunden worden. Während man ihr die Beinkleider raubte, wurde ich in den Warteraum nebenan geführt, wo schon eine bunt schnatternde Gruppe aus Notfällen saß. Das ist nicht ganz so verkrampft wie daheim, wo jeder für sich alleine leidet, nach kurzer Inforunde wusste jeder, wer sich wobei wie verletzt hat. Ich wurde wieder mit Nadja zusammengebracht, sie wurde in einen Einkaufswagen gesetzt, der zum Rollstuhl umgebaut worden war. Die Einrichtung hier ist sowieso nicht gerade der letzte Schrei. Egal, Nadja kommt unter die X-Ray-Kanone, dann darf erneut gewartet werden.

Gegen 22.30 Uhr ist es dann endlich soweit, was wir vermuteten wurde Gewissheit. Kniescheibe war herausgeploppt, wir haben das einzig Richtige gemacht und das auch noch richtig, jetzt waren die Bänder erst einmal langgezogen. Wir kauften der Nadja noch "fancy Walkinggear", eine Klettbeinschiene und zwei Achselkrücken, dann waren wir raus. Als nächstes brauchten wir etwas zu Essen und zwar sofort. Kurz vor elf steuerten wir einen Dairy Queen an. Dort wurde Reinhard mit dem Dreck und zwei Burgern wieder hinausgekehrt, dazu gab es eine Art von Fritten und schnöden Salat. Die Pepsi schmeckte nur nach Chlor vom Leitungswasser, dann ging das Licht im Laden aus. Hier sättigte sich also einst der Vater des Spruches: Der Hunger treibt's rein, der Ekel treibt's runter und der Geiz hält's unten.

Wir fuhren weiter und hielten vor einer Herberge namens "The Painted Turtle", die war uns letztes Mal hier aufgefallen und der Flyer versprach eine relaxte Atmosphäre unter Freunden aus aller Welt. Ich läutete und eine alte Koreanerin mit starkem Akzent öffnete die Tür und fragte nach meinem Begehr. Woher ich käme, warum so spät und überhaupt. Ich erklärte unsere Lage, sie zeigte mir ein Bett im Erdgeschoss. Es war ein Zimmer, wo Nadja mit zwei anderen Mädchen hätte nächtigen können. Und dann zeigte sie uns noch eine Dachkammer im Obergeschoss. Nicht mehr als 2,2 x 2,2 m unter der Dachschräge, war dies ein "Privat-Room" ohne Fenster. Ich wurde an Holland erinnert, denn das Kabuff sollte fast fuffzig $ kosten. Was hatte man schon für eine Wahl, Samstag kurz vor Mitternacht? Nadja sagte zu, sie wollte es nach oben versuchen. Mit den letzten Kraftreserven ackerte sie die schmale Außentreppe hoch, deren Zustand bei Tageslicht betrachtet ziemlich bedenklich war. Wir bezogen die kleine Kemenate und fielen auf das durchgelegene Rollbett. Es gibt Tage, da ist einem alles egal. Wir fanden einen kleinen Fernseher und sahen uns einen alten Film an. Reinhard gönnte sich eine Tüte Haribo oder auch zwei. Warum verschenken, was man selbst am Nötigsten hat? So beschlossen wir den Tag und glitten ins Dunkel.

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D
Kristin und ich denken an Euch...so jetzt wisst ihr auch von wem der Kommentar ist.
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D
Wir leiden mit dir!!! Wenn wir jetzt, zu dieser Zeit wenigstens bei dir seien könnten. Was geht ihr auch immer wandern...Sport ist mord...sach ich´s doch...Würden dich gern hegen und pflegen und dir die Zeit versüßen!!! In Gedanken sind wir bei euch. Haben euch furchtbar lieb und belasst es bitte bei dem einen Unfall, dass kann sich ja kein Mensch leisten in Canada...sollen wir euch Geld schicken, wenn geht es bei mir aber erst ab dem 15.<br /> <br /> Hals & Beinbruch<br /> Eure Nordlichter
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J
Outch!<br /> Gute und schnelle Besserung wünschen wir Dir.
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